Wir gedenken den Opfern im Gottesdienst am Donnerstag, 19.12. um 18 Uhr in der Bruder-Konrad-Kirche und beten, dass wir so etwas nie mehr erleben müssen.
Der Kirchenchor gestaltet die Messe musikalisch mit.
Wir leben hier in Europa, in Deutschland seit vielen Jahren in Frieden und Wohlstand. Die zahlreichen Kriege der Vergangenheit, die unsere Region heimsuchten und großes Leid brachten, sind für uns nur noch Geschichte – verbannt in die Geschichtsbücher. Ja, wir kennen den Krieg nur aus dem Fernsehen. Wir sehen oder lesen, mit welcher Brutalität anderswo Kriege geführt werden, wie Menschen sterben und Häuser zerstört werden. Doch all das scheint weit weg. Wir können die Nachrichten ignorieren, wann immer wir wollen, oder die schrecklichen Ereignisse einfach überblättern.
Zeitzeugen, die uns aus erster Hand berichten könnten, wie grausam ein Krieg ist, gibt es kaum noch.
Besonders hart traf es Esthal kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs.
2024 jährt sich der Bombenangriff, der Esthal am 19. Dezember 1944 erschütterte, zum 80. Mal. Bei diesem Fliegerangriff verloren 23 Menschen ihr Leben.
Was damals in dem kleinen Walddorf geschah, wird im folgenden Bericht geschildert. Er stützt sich vor allem auf ortsgeschichtliche Dokumente und dient dazu, an die schrecklichen Geschehnisse zu erinnern. Gleichzeitig soll er eine Mahnung sein – gerade in unserer gegenwärtigen, unsicheren Zeit.
Es war kurz vor Weihnachten, ein Dienstag – der 19. Dezember 1944. Die Sonne schien über das idyllische Walddorf. Doch diese trügerische Ruhe sollte bald enden.
Am frühen Nachmittag, gegen 14:15 Uhr, näherten sich aus südlicher Richtung mehrere Bombenverbände dem Dorf. Über den „Metzelrain“ hinweg wurden 20 bis 30 Flugzeuge gezählt. Dann sahen die Bewohner, wie die Maschinen ihre tödliche Ladung abwarfen.
Plötzlich erfüllten ein unheimliches Rauschen und Zischen die Luft. Die Menschen rannten in Bunker, Keller und Schutzräume. Kurz darauf erschütterten ohrenbetäubende Explosionen das Dorf – die Erde bebte, und die Luft wurde von Splittern, Scherben und Steinen durchzogen. Dunkelheit und Staub machten die Umgebung unkenntlich, und ein beißender, stickiger Geruch von Pulver erfüllte die Luft.
Nach einer Weile kehrte Ruhe ein, und der Staub begann sich zu legen. Als die Überlebenden aus ihren Verstecken hervorkamen, bot sich ihnen ein Bild des Grauens.
Ein Bombenteppich aus etwa 52 Bomben hatte das Dorf getroffen. Von der Gegend um das „Gässel“ (heute Brunnenstraße) bis hin zum Friedhof zog sich eine Schneise der Zerstörung. Große Teile des Ortes lagen in Trümmern. Mehrere Häuser waren vollständig ausgelöscht, viele weitere schwer beschädigt. Tote lagen verstreut, und aus den Trümmern erklangen die Hilferufe der Verletzten.
Wie durch ein Wunder konnte ein Kleinkind, das in einem Bettchen schlief, aus den Trümmern eines völlig zerstörten Hauses unversehrt geborgen werden. Doch seine beiden Geschwister und Großeltern überlebten den Angriff nicht.
An anderer Stelle wurde ein Junge gefunden, dessen Beine nur noch von wenigen Gewebestreifen zusammengehalten wurden. Er hing in den eingestürzten Sparren seines Elternhauses und flehte: „Macht mich doch ab.“ Der Junge wurde ins Schwesternhaus gebracht, erlag jedoch kurz darauf seinen schweren Verletzungen.
Viele der Opfer waren so schwer verstümmelt, dass nur noch Teile ihrer Körper geborgen werden konnten. Eine ältere Frau wurde bis heute nicht gefunden. Es waren grausame und traumatische Erlebnisse für die Überlebenden.
Die Verstorbenen wurden ins Spritzenhaus gebracht, während die Verletzten im Schwesternhaus notdürftig versorgt wurden. Am Nachmittag, gegen 16 Uhr, trafen die ersten Krankenwagen ein, um die Verwundeten ins Krankenhaus nach Neustadt zu transportieren. Einige Schwerverletzte starben noch während der Fahrt.
Insgesamt forderte der Angriff 23 Todesopfer. 17 Gebäude wurden vollständig zerstört, 43 schwer beschädigt und 37 weitere leicht in Mitleidenschaft gezogen.
Elend und große Not brachen über viele Familien herein – eine erschütternde Bilanz. Auch die Strom- und Wasserversorgung des Dorfes wurde schwer getroffen, sodass es mehrere Tage lang weder Licht noch Wasser gab. Zwei Tage nach dem Angriff setzte eine eisige Kältewelle ein, und die Temperaturen fielen drastisch.
Trotz ihres Leids begannen die Esthaler unermüdlich mit den Aufräumarbeiten. Sie räumten Schutt und Trümmer beiseite, um nach Vermissten und weiteren Toten zu suchen. Auf dem Friedhof wurde ein großes Massengrab angelegt, um die Opfer zu bestatten.
Am Samstag, dem 23. Dezember 1944, um 8 Uhr morgens, wurden die Opfer des verheerenden Angriffs beigesetzt.
Die Verstorbenen waren zuvor in schlichte Särge gelegt und zum Friedhof gebracht worden, wo sie in einem großen Massengrab ihre letzte Ruhe fanden.
Die Trauerfeier begann in der Kirche, wo der Kirchenchor das „De profundis“ sang. Anschließend zog die Gemeinde in einer feierlichen Prozession zum Friedhof. Dort hielt der Pfarrer eine bewegende Ansprache, begleitet von Gebeten, während der Chor vierstimmig „Herr, gib ihnen die ewige Ruhe“ sang.
Im Anschluss wurden verschiedene Kränze niedergelegt, um den Opfern die letzte Ehre zu erweisen. Danach fand in der Kirche ein Requiem statt, das den Trauergottesdienst abschloss.
Das Weihnachtsfest 1944 stand unter dem Eindruck dieses schweren Schicksalsschlags. Es wurde von den Menschen in Esthal schlicht und in tiefer Stille begangen.
Diese tragischen Ereignisse hinterließen in dem einst so friedlichen Ort eine tiefe Wunde – eine, die auch nach 80 Jahren noch nicht verblasst ist.
Gedenken an die Bombenopfer
Alwin Kaiser
Johann Wolf
Magdalena Wolf, geb. Bauer
Gertrud Anna Bleh
Wolfgang Franz Bleh
Katharina Gerhard, geb. Kaiser
Maria Kaiser
Johann Münch
Hermann Kaiser
Heinz Schubert
Rita Schubert
Susanna Baumann, geb. Julino
Jakob Baumann
Richard Baumann
Mathilde Bleh, geb. Weitzel
Margaretha Bohn, geb. Nikolaus
Alexander Gerhard
Karl Heinz Buschlinger
Toni Werle
Anna Rosa Kaiser
Elisabeth Kohlmann
Peter Ruppert
Katharina Ruppert
Zeitzeugen berichten
(Aufgeschrieben und aufbewahrt im Gemeindearchiv Esthal)
Anna Kaiser (* 24.2.1915), verwitwete Weitzel, geborene Leidner
Ich saß mit meiner Freundin Irma an jenem Tag in der Stube im Gässel, damals Haus Nr. 64. Irma war seit dem 7. August 1942 Witwe von Josef Kaiser, ich selbst war seit dem 1. September 1943 Witwe von Heinrich Weitzel. Mein einziges Kind, Heini (*24. Februar 1941), war bereits am 1. März 1943 verstorben.
Wir saßen zusammen und erzählten uns Geschichten. Irma wusste ihre Tochter Annerose (*30. Dezember 1941) in guter Obhut bei ihren Schwiegereltern.
Plötzlich hörten wir das Brummen vieler Flugzeuge. Wir reagierten sofort und gingen in den Keller. Nur kurze Zeit später fielen die Bomben. Eine detonierte ganz in der Nähe.
Nachdem der Lärm verklungen war und es wieder still wurde, wagten wir uns aus dem Keller. Nur etwa 10 Meter diagonal über dem Gässel hatte das Haus der Familie Wolf einen Volltreffer erlitten. Es gab vier Tote.
Als der Staub und Rauch sich legten, konnte Irma von unserem Standort aus durch die Gärten ihr eigenes Wohnhaus sehen – das Haus Ferdinand Kaiser. Doch es stand nicht mehr. Ohne zu zögern rannte sie nach Hause.
Dort musste sie die grausame Gewissheit ertragen: Ihre Tochter Annerose war den Bomben zum Opfer gefallen.
Maria Bleh, geb. Wolf, geb.1929
Ich, 15 Jahre, stand mit meinem kleinen Bruder im Arm in der Entengasse am Fenster und schaute über das Dorf. Plötzlich Flieger und ich konnte die letzten Bomben auf das Gebiet der heutigen Schulturnhalle fallen sehen.
Unter den 4 Toten im Gässel waren ihre beiden Großeltern Magdalena und Johannes Wolf sowie die Kinder Gertrud und Wolfgang Bleh aus ihrer Verwandschaft
Unter den 4 Toten im Gässel waren meine beiden Großeltern Magdalena und Johannes Wolf sowie die Kinder Gertrud und Wolfgang Bleh aus der Verwandschaft
Annel Konrad, geb. Bleh, geb. 1938
Ich saß mit meinen sechs Jahren über meinen Hausaufgaben, als plötzlich ein lautes Brummen und Knallen zu hören war. Die Bomben fielen. Bei uns hatte das Glück im Unglück zugeschlagen – nur die hintere Scheune wurde getroffen. Das darin gelagerte Heu wurde durch die Wucht der Explosion in die hinteren Räume des Hauses gedrückt. Gleichzeitig sorgte es dafür, dass der Druck teilweise abgefangen wurde und Schlimmeres verhindert werden konnte.
Warum gerade Esthal?
Aus Erzählungen ist bekannt, dass der Angriff ursprünglich nicht dem Ort selbst gegolten hatte. Ein englischer Kriegsgefangener, der in einer Pulverfabrik (Holzbau GmbH, Esthal) in der Annexe Sattelmühle arbeiten musste, in der Munition hergestellt wurde, gelang die Flucht. Dabei erinnerte er sich an das Bahnhofschild mit der Aufschrift „Esthal“. Diese Information gab er an die Alliierten weiter. Daraufhin steuerte ein Flugzeugverband mithilfe der Kartennavigation den Ort Esthal an, um dort seine tödliche Ladung abzuwerfen.
Nach Kriegsende besuchte ein amerikanischer Offizier das Dorf und sah die immensen Schäden, die noch immer sichtbar waren. Auf die Frage einer jungen Frau: „Warum gerade wir? Warum hat der Angriff ausgerechnet hier stattgefunden?“, antwortete er, dass es in Esthal eine Munitionsfabrik gegeben habe.
Die Frau entgegnete überrascht: „In unserem friedlichen Ort gab es diese Fabrik nicht.“ Diese Antwort ließ den Offizier schweigend zurück.
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