E l m s t e i n 11.10.2006  

Kinderhilfe Tschernobyl Elmstein-Appenthal
20 Jahre nach Tschernobyl -
Reisebericht einer außergewöhnlichen Fahrt
Kinderhilfe Tschernobyl Elmstein-Appenthal zum 8. Mal unterwegs in den verstrahlten Gebieten Weißrusslands

Nach zweijähriger Pause haben sich 6 Gasteltern der Kinderhilfe Tschernobyl Elmstein-Appenthal, einer Initiative der Prot. Kirchengemeinde Elmstein-Iggelbach auf den weiten Weg nach Weißrussland gemacht. Mit Edgar Wolf (Esthal), Viktor Kohleber (Schafhof), Emma Bauer (Elmstein) Edith, Gerhard und Matthias Vorstoffel (alle Appenthal) war dir Gruppe komplett und ein bewährtes Team gefunden. Wegen der zahlreichen bürokratischen Hindernisse in der Vergangenheit im Bezug auf materielle Hilfe durch selbst organisierte Transporte, wollte man in diesem Jahr vor allem finanzielle Hilfe leisten.


Arbeitseinsatz in der Schulküche in Asarewitschi
Edgar Wolf sägt Eckleisten zurecht.


Reichlich gedeckter Tisch in Asarewitschi

Unterstützt sollten Einrichtungen für Kinder und sozialschwache Familien werden. Auch Einzelschicksale von mittlerweile gut bekannten Familien sollten eine finanzielle Linderung erfahren. Des Weiteren wollte man sich über die Verwendung der bisher geleisteten Hilfe informieren.

Polen - Tor zum Westen
Am frühen Morgen des 7. Oktober 06 machte sich die Gruppe in Appenthal auf den 2000 km weiten Weg nach Asarewitschi (ca. 32 km von Tschernobyl entfernt). Noch lag alles im Ungewissen und die Frage stellte sich, ob man wieder mit Schikanen an den Grenzen zu rechnen hatte. Immerhin hatte man in der Vergangenheit schon 13,5 Std. an der polnisch/weißrussischen Grenze verbracht und war damals 42 Std. unterwegs.

Nach 8,5 Std. hatte man den Grenzübergang Frankfurt/Oder erreicht und die Gruppe war freudig überrascht, als sich die Polen mit einer Passkontrolle begnügten und 15 Minuten später die Fahrt weiter gehen konnte. Bemerkt wurde auch, das Polen mittlerweile zur EU gehört und sich am Straßennetz in den letzten zwei Jahren erstaunlich viel getan hatte. Teilweise gibt es jetzt sogar eine Autobahn, sodass man nicht die ganze Strecke hinter endlosen LKW-Kolonnen herfahren musste und Polen nach gut 10 Std. ganz durchquert hatte.

Als störend wurde allerdings die Durchfahrt durch Warschau empfunden. Der ganze Verkehr muss sich durch Polens Hauptstadt quälen und die schlechte Beschilderung führte dazu, dass sich die Reisenden wieder einmal verfahren hatten und so knapp eine Stunde verloren.

Weißrussland - ein Land in Aufbruchstimmung?
Nachts um 0.45 Uhr stand der Kleinbus in Brest am Schlagbaum der weißrussischen Grenze. Auch hier wurden Veränderungen zur letzten Reise bemerkt. So hingen überall Informationstafeln mit Telefonnummern, wo man sich an höherer Stelle über Unzulänglichkeiten der diensthabenden Beamten beschweren konnte. Doch dies war keineswegs notwendig.

Freudig registrierte die Delegation aus der Pfalz, dass sie zum ersten Mal ganz ohne Probleme an über zwei Kilometern Autoschlange vorbeifahren durfte. Sonst wurden Bescheinigungen verlangt, die nur vom Stellvertreter des Präsidenten Lukaschenko ausgestellt wurden. Es ist zwar immer noch so, dass die Formalitäten an der Grenze sehr bürokratisch sind, aber von der Willkür der vergangenen Jahre war nichts zu spüren.

Nachdem für alle eine Krankenversicherung abgeschlossen war, die Deklaration für den Fahrer ausgefüllt und eine sehr oberflächliche Fahrzeugkontrolle überstanden war, stand nur noch die Passkontrolle an. Nach 2 Std. Grenzaufenthalt wurde der Kleinbus hinaus auf Weißrusslands Straßen gelenkt.

Am 28. April 2006 war der 20. Jahrestag der größten Katastrophe der friedlichen Kernenergie, als im Kernkraftwerk Tschernobyl der vierte Block explodierte. Dies nahm Präsident Lukaschenko zum Anlass, den verstrahlten Gebieten im Gomelgebiet einen Besuch abzustatten. Er war auch in der Kreisstadt Bragin, in der die Kinderhilfe Tschernobyl seit 1992 tätig ist.

Dem Besuch des Staatsoberhauptes ist es zu verdanken, dass in diese Region viel investiert wurde. Die Veränderung bemerkten die Reisenden ziemlich schnell, denn die Straßen waren neu geteert und so kam man schnell voran. Bei der letzten Reise mussten alle paar Hundertmeter Ausweichmanöver gestartet werden, wenn man wegen der unzähligen tiefen Schlaglöcher keinen Achsbruch riskieren wollte. Diesen glücklichen Umständen war es zu verdanken, dass die Reise zügig fortgesetzt werden konnte und das Reiseziel nach 26 Std. Fahrtzeit erreicht war.

Zu Gast bei Freunden
Der erste Anlaufpunkt war das Haus von Maria Schewtschenko, der Rektorin des "Schulzentrums" Asarewitschi. Die Freude über das Wiedersehen war riesig. Jedoch hatte man die Gäste aus dem fernen Deutschland erst gegen Abend erwartet und nun musste improvisiert werden, damit man das freudige Ereignis würdig feiern konnte.

Den Gästen kam es so vor, als wären sie gar nicht fort gewesen. Alle fühlten sich gleich wie zu Hause. Aus Fremden sind mittlerweile Freunde geworden und bei Tee und Kaffee gab es deshalb viel zu erzählen. Die gute Stimmung wurde allerdings etwas getrübt, als das Gespräch auf den Sohn des Hauses kam, der seit acht Monaten erkrankt ist und zur Zeit im 150 km entfernten Gomel im Krankenhaus liegt und schon mehrere Operationen überstehen musste.

Sein Immunsystem ist auf Grund der fortwährenden Strahlenbelastung sehr stark geschwächt und viele Organe geschädigt. Die Medizin spricht bei diesen Symptomen von "Tschernobyl-AIDS". Nach einem ausgiebigen Frühstück wurde die Gruppe in die Quartiere für die nächsten Tage eingeteilt. Das "Schulzentrum Asarewitschi" Weil in den letzten Jahren die Kinderzahlen in Asarewitschi stark zurückgegangen waren, drohte das "Aus" für diese Einrichtung. Damit verbunden wäre ein langer Weg für die Kinder gewesen, der vor allem im harten russischen Winter Probleme gemacht hätte. Außerdem hätten viele Arbeitsplätze auf dem Spiel gestanden. Die Rektorin hat sich deshalb an die Elmstein-Appenthaler Initiative gewandt und um Hilfe gebeten.

Die Schule war nur zu retten, wenn der Schule ein Kindergarten angegliedert werden konnte. Dafür waren aber sanitäre Einrichtungen notwendig, die Voraussetzung für den Betrieb eines Kindergartens sind. Die Schule verfügte zu dieser Zeit nur über Plumpsklos (Ein Bretterverschlag mit zwei Kabinen und je drei Löchern im Boden und einem Korb mit Gras an der Wand als Toilettenpapierersatz)

2003 wurde dort durch die Initiative eine ausgediente Toilettenanlage aus der Protestantischen Kindertagesstätte Schöntal eingebaut. Ein Jahr später folgte die Modernisierung der hauseigenen Schulküche, welche sich bis Dato in einem jämmerlichen Zustand befand. Eingebaut wurde eine gebrauchte, aber gut erhaltene Küche einer Familie aus Esthal.

2005 wurde im Schulgebäude noch ein Heim für Sozialwaisen eingerichtet. Die Kinder und Jugendlichen kommen aus Familien, die mit der Erziehung ihrer Kinder überfordert sind. Häufig ist eine Alkoholabhängigkeit der Eltern die Ursache. Nach einem halben Jahr Heimaufenthalt wird die Familie durch Sozialarbeiter inspiziert und geprüft, ob eine Rückführung der Kinder in die Familie möglich ist. Ist dies nicht der Fall, werden die Kinder in einem Internat untergebracht, in dem ein geregelter Alltag und eine Schul- und Ausbildung gewährleistet ist.

Heute besuchen 48 Kinder und Jugendliche den Kindergarten, die Schule oder leben im Heim. 13 Lehrer und Erzieher kümmern sich um ihre Bildung, vier Frauen arbeiten in der Küche, drei Männer sind für die Instandhaltung und Hausmeistertätigkeiten beschäftigt, zwei Männer halten abwechselnd Nachtwache und drei Frauen haben als Putzfrau eine Anstellung. Laut der Rektorin ist es den beiden Arbeitseinsätzen der Initiative zu verdanken, dass die Schule heute noch besteht.

Maria Schewtschenko hat mit der Gruppe eine ausführliche Führung durch das Schulzentrum unternommen, wobei festgestellt wurde, dass sich alles in gutem Zustand befindet. In der Küche standen lediglich einige "Schönheitskorrekturen" und die Reparatur der Spülmaschine an (Sie hat den Transport vor zwei Jahren nicht heil überstanden und es musste ein Ersatzteil beschafft werden, dass jetzt eingebaut werden sollte.)


Die Initiatoren der Kinderhilfe übergeben der Rektorin einen Umschlag für die Renovierung der Dusche ihrer Einrichtung.
Von links nach rechts: Matthias Vorstoffel, Maria Schewtschenko, Viktor Kohleber, Edith Vorstoffel

Die vom Schulträger eingebaute Dusche für die Heimkinder war nach einem Jahr schon in einem desolaten, fast nicht zu gebrauchenden Zustand.

Man versprach, sich dem Einbau einer neuen Dusche anzunehmen. Hatte man doch vom letzten Transport Material, Werkzeuge und Maschinen hier in der Schule deponiert.

Bei der Besichtigung des Heims und des Kindergartens ist aufgefallen, wie sauber und ordentlich alles war. Überall begegneten der Gruppe Hilfsgüter aus Elmstein und Umgebung: Spielsachen, Gardinenstoffe, eine elektronische Orgel, Schul- und Kindergartenmöbel, u.v.m..

Als einige neugierige Kinder von der Maria Schewtschenko herbeigerufen und der Gruppe vorgestellt wurden, merkte man beim zwischenmenschlichen Kontakt zwischen Lehrer und Heimkind, dass ein enges Vertrauensverhältnis besteht und der Kontakt zu den Kindern nicht oberflächlich ist, sondern durch Wärme und Liebe zu den Schützlingen geprägt ist. Aufgefallen ist die sechsjährige Marina, sie wohnt seit drei Jahren in Heimen und weinte, weil sie so gerne in eine Familie wollte.


Edgar Wolf beim Wasserholen für die Morgentoilette

Tanzaufführung in Asarewitschi

Die veränderte Lage im Grenzgebiet
Am nächsten Tag machte man sich auf den Weg nach Bragin, denn ausländischen Besuchern ist es vorgeschrieben, dass sie sich gleich nach der Einreise in der nächsten Kreisstadt registrieren und anmelden müssen. Allerdings stand man bei der Meliz (Polizei) vor verschlossenen Türen, da diese montags Ruhetag hatte. Man nutzte die Gelegenheit der unverhofft gewonnenen Zeit und bestellte in einem "Fachgeschäft" eine Dusche für die Schule in Asarewitschi. Dabei handelte es sich um ein englisches Produkt (bestehend aus Duschwanne und Kabine aus stabilen Sicherheitsglas für 400,00 Euro). Leider konnte die Dusche nicht während des Aufenthaltes der Gruppe geliefert werden. Die drei Techniker der Schule werden die Dusche einbauen.

Weiterhin besorgten sich die vier Männer Material, um an der Küche kleinere Reparaturen durchzuführen. Nachmittags ging man dann auch gleich ans Werk und nach ein paar Stunden konnten die ehrenamtlichen Arbeiter ihre Arbeit abschließen. Auch die Spülmaschine war nun funktionsfähig. Die Köchinnen staunten nicht schlecht, wie sauber und glänzend das Geschirr aus der Maschine kam und bedankten sich herzlich für die Arbeitserleichterung.

Am nächsten Tag (Dienstag) konnte dann die Anmeldung in Bragin vorgenommen werden. Diese Prozedur hatte sich über fünf Stunden hingezogen (länger als die Grenzformalitäten bei der Einreise). Schuld daran war die veränderte Situation zum Nachbarland, der Ukraine. Seit dort die Opposition an der Macht ist, werden die Grenzen zum Nachbarstaat sehr stark überwacht und selbst die Weißrussen dürfen sich nicht ohne Weiteres in Grenznähe aufhalten. Aus Unwissenheit wurde es von der einladenden Behörde versäumt, die Personalien an die Einwanderungsbehörde weiterzuleiten. Das hatte zur Folge, dass man den Gruppenmitgliedern nur eine Aufenthaltsgenehmigung für Bragin ausstellte und ein Aufenthalt in Ortschaften in Grenznähe (z.B. auch Asarewitschi) untersagt wurde.

Nun galt es also vorsichtig zu sein, wollte man nicht wieder eine Vorladung (oder schlimmeres) in Gomel, der Bezirkshauptstadt riskieren. Konzertaufführung als Dankeschön für die geleistete Hilfe Die nächsten beiden Tage waren bestimmt von Besuchen ehemaliger Gastkinder und deren Familien, die in den letzten 14 Jahren einen Sommeraufenthalt zur Stärkung ihrer geschwächten Gesundheit in der Pfalz genießen durften.

Viele der ersten Kinder sind mittlerweile schon verheiratet, haben selbst kleine Kinder. Nicht selten wurden die Verantwortlichen der Initiative mit schweren Einzelschicksalen konfrontiert und versuchten diese durch eine finanzielle Zuwendung ein wenig zu lindern. Das Geld stammte entweder von Privatspenden, oder aus Erlösen der Verkaufsstände der Appenthaler und Elmsteiner Kerwe, dem Motorradgottesdienst auf Johanniskreuz oder vom Elmsteiner Weihnachtsmarkt.

Die Dankbarkeit, auch Jahre nach einem Ferienaufenthalt, hat die Initiatoren darin bestätigt, dass die Hilfe nicht nur der Gesundheit diente, sondern das Leben positiv begleitet und auch einen Beitrag zur Völkerverständigung leistet. Gezeigt wurde diese Dankbarkeit an überreich gedeckten Tischen mit dem, was Garten und Keller zu bieten hatten.

Positiv aufgenommen wurde auch, dass man in diesem Jahr den Wodka nicht aufgedrängt bekam. Natürlich gehörte er zu jedem Essen dazu, aber wenn man sein erstes Glas auf die Gesundheit und Freundschaft getrunken hatte, hatte man der Höflichkeit genüge getan.

Am Mittwochmittag war einer der Höhepunkte der Reise. Das Lehrerkollegium Asarewitschi hatte mit den Schülern für die sechs Pfälzer ein "Konzert" einstudiert. Lieder, Gedichte, kleine Theatereinlagen und Tänze wurden dargeboten. Dabei hatten die Kinder weißrussische Trachten angelegt, die Mädchen Blumenkränze im Haar und der ganze Raum war dekoriert mit handgestickten Bildern, handgewebten Tüchern, Luftballons, Herbstlaub und Bildern, die die Liebe zu ihrer Heimat nahe brachten.

Der Ausspruch "Ihr habt euch heute in unsere Herzen gesungen!" brachte die Stimmung dieses Konzertes auf den Punkt. Tief bewegt und gerührt bedankte man sich für die hervorragende Darbietung und überreichte an alle Kinder eine kleine Tüten mit Süßigkeiten, an die Lehrer eine kleine Flasche Pfälzer Wein und an die Rektorin einen Umschlag mit dem benötigten Geld für die neue Dusche.

Aber auch die Kinder hatten Geschenke vorbereitet, so erhielt jeder einen Blumenstrauß, ein Weidenkörbchen und für die Initiative haben die Mädchen eine Ikone gestickt, welche sie jetzt der dankbaren Gruppe überreichten.

Das Dorf Maloschin
Der Abschied aus Asarewitschi am Freitag Vormittag ist allen Beteiligten nicht leicht gefallen und so manche Träne ist geflossen, liegt es doch im Ungewissen was die Zukunft bringt und ob/wann man sich wieder sehen wird.

Der zweite Teil des Aufenthaltes führte nach Maloschin, einem Dorfsowjet mit ca. 1500 Einwohnern, die in 5 Dörfern leben. Aus Maloschin stammen die meisten der Kinder, die eine Einladung der Kinderhilfe Tschernobyl erhalten haben. Leider war die Kontaktperson der Initiative, die Bürgermeisterin des Dorfes Tamara Krawtschenko, erkrankt und lag mit einem Herzleiden in Gomel im Krankenhaus. Deshalb fehlte es in diesem Jahr etwas an der Organisation und die einzelnen Teilnehmer verbrachten die Zeit überwiegend in ihren Gastfamilien.

War man in Asarewitschi bei Lehrern und eher besser verdienenden Familien untergebracht, so lebte man hier beim einfachen Kolchosearbeiter. Der Unterschied war unverkennbar. Auch in der ersten Unterkunft musste man sich mit Wasser vom Brunnen und Plumpsklos begnügen und die Lebensverhältnisse waren alles andere als komfortabel. Hier in Maloschin aber, war es mit einer Ausnahme sehr ärmlich.

Eine Gastmutter entschuldigte sich, weil sie nur drei Kaffeelöffel hatte und deshalb nicht jeder einen benutzen könne. In einer anderen Unterkunft waren die Schlafplätze zum Teil nur durch einen Vorhang voneinander abgetrennt. Der Boden in der "Küche" bestand aus unbehandelten Bohlen und das Mobiliar würde sich in Deutschland niemand trauen auf den Sperrmüll zu stellen, so abgenutzt und heruntergekommen war es. Dem deutschen Gast überkam jedes Mal ein beengtes Gefühl, wenn er das Haus betrat.

Tschernobyl - eine Chronik der Zukunft

In Bragin gastiert zur Zeit eine französische Ausstellung, die sich mit der Tschernobylkatastrophe befasst. Natürlich wollte man diese Ausstellung auf jeden Fall besichtigen. Auch wenn sich die Initiatoren schon sehr lange mit dem Thema "Tschernobyl" befassen, so ging diese Ausstellung doch unter die Haut.

Überall hingen kleine Radioaktiv-Symbole an Nylonschnüren im ganzen Raum verteilt und symbolisierten, das die Radioaktivität hier allgegenwärtig ist. An Stellwänden waren die Dörfer aufgelistet, die nach der Katastrophe eingeebnet wurden, insgesamt 56 Stück. Weiterhin waren alle Dörfer vermerkt, die nach Tschernobyl verlassen wurden.

Einem hatten die Pfälzer einen Besuch abgestattet und Wehmut machte sich breit, als man durch die Straßen fuhr, die verlassenen, verfallenen Häuser sah. Mittlerweile sind sie schon fast ganz eingewachsen. In ein paar Jahren hat sich die Natur das wieder zurückgeholt, was der Mensch ihr über Jahrhunderte hinweg abgerungen hatte. Gedacht wurde auch der Liquidatoren, die die Menschen ganz ohne Schutz aus dem Kernkraftwerk und der näheren Umgebung evakuierten. Die meisten dieser Männer sind bald darauf an "Strahlenkrankheit" gestorben.

Auf einem sehr eindrucksvollen Bild war eine alte Frau zu sehen, die auf einem Stein saß. Vor ihr lag ein Kleiderbündel und ihr Blick ging hinüber zu einem Stacheldrahtzaun. Hinter dem Zaun standen unerreichbar mehrer Häuser - vor dem Zaun ein Schild: "Lebensgefahr, radioaktive Strahlung!"

Einladung zur Ehrung weißrussischer Frauen
Von der Leiterin der Sozialabteilung des Kreises Bragin, Luba Kusnezowa, wurden die Gruppe zu einer Ehrung verdienter Frauen des Kreises eingeladen. Die Ehrung fand in einem sehr modernen Restaurant statt.

Zwischen Liedbeiträgen von Nachwuchskünstlern wurden Frauen einmal in den Mittelpunkt gestellt, welche normalerweise nicht im Rampenlicht der Gesellschaft stehen.

So wurden alte Frauen geehrt, die während des Krieges Zwangsarbeit in Deutschland leisten mussten, junge Mütter, Frauen, die in ihrem Betrieb erstaunliches leisten, oder sich für das Allgemeinwohl verdient gemacht hatten.

Auf Wunsch der Leiterin der Sozialabteilung sollten die deutschen Gäste ein Lied zu Gehör bringen. Man entschied sich für das "Wolgalied" aus der Operette "Zarewitsch". Der Gesang kam so gut an, dass man nach einer Zugabe verlangte. Beim anschließenden "Kalinka" (auf russisch gesungen) stimmte der ganze Saal mit ein und die Stimmung war überwältigend.

Lebenshaltungskosten in Weißrussland
Bei einem Gespräch mit einer Familie in Maloschin kam man auf Preise und Löhne zu sprechen. Für einen Euro bekommt man zur Zeit 2.600 Weißrussische Rubel. 1 kg Zucker kostet umgerechnet 0,71 €, 1 l Milch 0,61 €, 250 g Butter 0,57 €, 1 kg Zucker 0,77 €, 1 kg Brot 0,33 €, 1 kg Mehl 0,47 €, eine Gasflasche 7,85 €.

Die Frau hat bis letztes Jahr in Maloschin die Post ausgetragen und im Monat umgerechnet 10,00 € verdient. Heute putzt sie täglich die Schule und bekommt dafür monatlich 53,57 €. Ihr Mann ist Invalide und erhält bis Jahresende eine sehr kleine Rente. Danach bekommt er keine Unterstützung mehr.

Es war jedoch auch zu berichten, dass sich die Lage in den letzten Jahren etwas entspannt hat. Wurden früher die Löhne über Monate hinweg gestundet, so zahlen die Kolchosen jetzt monatlich. Auch sind die Löhne stärker gestiegen als die Lebenshaltungskosten. Nicht außer acht lassen darf man aber die Arbeitsbedingungen, unter denen die Menschen ihr Geld verdienen müssen.

In der Kolchose Maloschin gibt es 1.200 Kühe, die täglich zweimal gemolken werden müssen. Der Arbeitstag der Melkerinnen beginnt morgens um vier Uhr in völliger Dunkelheit. Jede Melkerin muss ca. 50-60 Kühe melken. Ist die Arbeit vollbracht, geht es nach Hause in den eigenen Stall. Dort wird dann die eigene Kuh gemolken, das Vieh versorgt, bevor man das Frühstück für die Familie vorbereitet und dafür sorgt, dass die Kinder rechtzeitig in die Schule kommen.

Am Abend müssen in der Kolchose dann wieder die Kühe gemolken werden. Zwischendurch wird der Haushalt versorgt und wenn es die Zeit zulässt, ein wenig geschlafen.


Seitenaltar in der Kirche in Maloschin

Gottesdienst in der Dorfkirche Maloschin
Maloschin verfügt über eine eigene Kirche und dies ist eine große Seltenheit. Über die Jahre der Partnerschaft verfolgen die Organisatoren der Kinderhilfe das kirchliche Leben in Maloschin. Gebaut wurde die Kirche in den 90er Jahren von einem Kolchosevorsitzenden. Allerdings verlies dieser den Ort, bevor der Bau vollendet war und die Kirche blieb als Bauruine stehen.

Beim Hilfstransport 2001 stellte man erfreut fest, dass die Kirche mittlerweile fertig gestellt war. Dies nahm man dann auch zum Anlass, den vorbereiteten Ostergottesdienst nicht auf dem Friedhof, sondern in der Kirche abzuhalten. Es war der erste Gottesdienst, der in dieser Kirche gehalten wurde.

2003 war der Innenraum mit schönen Ikonen geschmückt und einmal im Monat wurde in Maloschin Gottesdienst gefeiert. In diesem Jahr musste man leider erfahren, dass nur noch dreimal im Jahr hier gepredigt wird. Anders als in Deutschland lebt der Geistliche (Pope) von der Kollekte.

Aber das, was in Maloschin eingeht, reicht nicht einmal für das Benzin. In Weißrussland herrscht eine tiefe Volksreligiosität. In fast allen Häusern hängt eine Ikone, oder Heiligenbilder. Wladimir Kusnezow, Arzt im Krankenhaus Bragin, war im Jahr 2000 mit seiner Frau in Appenthal zu Gast. Dieses Jahr erzählte er der Gruppe, dass er oft an die Zeit in Appenthal zurückdenkt und ihm besonders die Appenthaler Glocken beeindruckt hatten, wenn ihr Klang das Tal erfüllte.

In Bragin hatte man durch Zufall eine Kirche entdeckt. Als Glocken dienten dort unten aufgeschnittene Gasflaschen. Maloschin verfügt hingegen über eine richtige Glocke. Allerdings liegt diese in der Sakristei und hat bis heute noch niemand zum Gottesdienst gerufen…

In diesem Jahr hatten die Organisatoren einen Entedankgottesdienst vorbereitet, der in russisch und deutsch gehalten wurde. Eine alte Frau bedankte sich überschwänglich, dass endlich mal wieder hier in Maloschin Gottes Wort zu hören war.

Die Initiative möchte sich jetzt einsetzen, damit in der Kirche in Maloschin weiterhin auch Gottesdienste abgehalten werden - und zwar nicht nur dreimal im Jahr.


Kirche in Bragin
Links die "Ersatzglocken" aus
aufgeschnittenen Gasflaschen

Kindergarten Maloschin
Am letzten Tag des Aufenthaltes in Weißrussland besuchte man noch den Kindergarten in Maloschin. Dort werden täglich 26 Kinder in zwei Gruppen betreut. In den vergangenen Jahren wurden an diese Einrichtung immer wieder Pakete mit Spielzeug und Kuscheltieren geschickt.

Gleich der erste Eindruck war sehr positiv: im Freigelände war ein Barfußpfad angelegt, als Randbegrenzung dienten umgedrehte leere Kunststoffflaschen. Der Einfallsreichtum, aus wenig etwas Brauchbares und Schönes zu gestalten, war damit aber noch längst nicht beendet. Aufgeschnittene Flaschen dienten als Serviettenbehälter, Spielzeug um kleine Bälle aufzufangen,

   

Toilettenpapierhalterungen, ja selbst Ski waren daraus gebastelt worden. Die Leiterin erläuterte der Gruppe, dass sie sehr froh über die Hilfe aus Deutschland waren und das meiste Spielzeug von der Initiative stamme.

Am Ende der Führung durch die Einrichtung konnte noch ein Umschlag mit 50,00 Euro an die Leitung übergeben werden. Das Geld stammte vom Abschlussgottesdienst einer Jugendfreizeit des Otto-Riethmüller-Hauses.

Heimfahrt
Am Dienstag morgen war Abreisetag. Mit gemischten Gefühlen und bewegtem Herzen verabschiedete man sich von den weißrussischen Freunden. Weiß man doch, dass jetzt für sie wieder der triste Alltag beginnt und es gerade in den verstrahlten Gebieten nicht leicht zu leben ist.

Auch wenn man die Menschen dort wieder mit ihren Problemen und Sorgen zurücklassen muss, wissen diese doch, dass es 2.000 km entfernt Freunde gibt, die an sie denken und ihnen auch weiterhin ihre Hilfe anbieten wollen.

Die Heimreise verlief noch erfolgreicher als Hinreise. Die weißrussisch/polnische Grenze hatte man in 45 Minuten passiert und war nach 25 Std. Fahrtzeit wieder in Appenthal angekommen.

Wer die Arbeit der Kinderhilfe Tschernobyl Elmstein-Appenthal finanziell unterstützen möchte, kann dies auf folgendem Konto tun:
Prot. Kirchengemeinde Elmstein-Iggelbach
Kennwort "Tschernobyl"
Sparkasse Rheinhaardt
BLZ: 546 512 40
Kontonummer: 1000 42 49 01

 

von Matthias Vorstoffel